Es gibt eine nette Bärenmutti, die ein großes Herz für heimatlose Bären hat und dorthin wird meine June bald verreisen. Sie ist die erste, die mich verlässt, fort aus der Bärensammlung bzw. von dem kläglichen Rest, der noch ungeliebt auf Regalen hockt. Andere werden folgen. Wer ist so herzlos und gibt seine letzten Bären aus einer ehemals wertvollen Sammlung her?
Wie kann das sein, was ist geschehen? Warum darf nur der alte Bruno bleiben? Viele Fragen, die auf Antworten warten...und die Erinnerungen schmerzen wie frische Schnitte...
Ich werde ein paar Namen ändern, ein paar Daten verdrehen müssen, damit die Privatsphäre erhalten bleibt...an den Tatsachen ändert das jedoch gar nichts, denn so und nicht anders haben sich die Ereignisse zugetragen, damals im...
...Januar 1981: Es regnet in Strömen, aber für mich ist die Welt wie ein bunter Schmetterling, kein Wunder: ich bin verliebt, nein, mehr noch, ich LIEBE. Und das Allerschönste ist, ich werde GELIEBT, endlich! Wunderbar, herrlich, mein Traum wird wahr. Er ist Engländer, genauer gesagt Schotte, ein waschechter Mac, auch ohne Rock, nein es heißt ja Kilt...diesmal will ich alles richtig machen. Ich lerne jeden Tag fleißig englische Sprache und schottische Geschichte, studiere Bildbände und Landkarten. Alles ist so intensiv, so neu und ich fühle mich ungeheuer lebendig. Ein Bild von einem Mann, erst jetzt begreife ich, was das heißt. Dunkelrote Locken, sinnlicher Mund, groß und breitschultrig, zärtlich und stark zugleich, er könnte mich mit Leichtigkeit auf Händen tragen, was er natürlich nicht tut, schließlich ist er Schotte und außerdem die meiste Zeit nicht da. Oben in der Luft ist er, irgendwo weit weg und doch immer ganz nah bei mir, in mir drin. Flight Sergeant bei der Royal Air Force, taubengraue Uniform; ich als Pazifistin finde ihn todschick, darf man ja gar nicht sagen im Freundeskreis. Aber er erobert ohnehin jedes Herz mit seinem Charme, seinem rollenden Rrrrr und seinen lachenden Augen. Seit fast zwei Jahren geht das so mit uns, und es ist immer noch ein tolles Gefühl, immer noch Flattern im Bauch, wenn ich seine Stimme höre, immer noch wird mein kleines Herz ganz weit, wenn er mich in seine Arme schließt und die Geborgenheit mich wärmt. Und nun sitze ich hinter ihm auf der Yamaha, der geliehene Helm schlackert, denn er ist viel zu groß, ich bin pladdernass und müde und fürchte mich ein bißchen vor dem Antrittsbesuch bei seinen Eltern in Reading. Was, wenn sie mich nicht mögen? Unsinn, meint Mac, sie werden außer sich sein vor Freude. Naja, ich habe meine Zweifel. Die Begrüßung ist für britische Verhältnisse sehr herzlich, auch ich werde von Barry gedrückt und sein Bart ist kratzig und weich zugleich. Endlich lernen wir dich kennen, sagt June, krallt ihre Nägel in Macs Hemd und läßt ihn den ganzen Abend nicht mehr los. Verständlich, nicht wahr, er ist ihr einziger Sohn und so selten zu Hause. Und mein Englisch sei niedlich, überhaupt sei ich niedlich für eine Deutsche, sagt sie und schaut mich an wie einen kleinen Hund, der langsam anfängt lästig zu werden. Aber ein Hund wäre wenigstens kein Vegetarier, noch ein Problemchen. Ach, was der Junge uns alles ins Haus schleppt, nicht wahr Barry...und Barry nickt und schweigt. Geschlafen wird selbstverständlich getrennt, schließlich ist das Haus groß genug für mehrere Gästezimmer. Und geraucht wird hier nicht, äußert sie naserümpfend, sie meint es ja nicht so. Mac strahlt, alles ist gut, aber ich fühle mich unbehaglich. Alle sind sooo nett zu mir, aber Junes aufgesetzte Freundlichkeit kann nicht über ihre innere Kälte hinwegtäuschen. Sie kann mich nicht leiden, was ich mir natürlich nur einbilde. Am nächsten Tag entführt June ihren Großen in die Stadt, soviel zu erledigen, so lange die reizenden Cousinen nicht gesehen. Barry verschwindet wortlos, und ich bin mir selbst überlassen. Mach dir einen schönen Tag, ja wie denn? Der hintere Garten ist wunderbar verwunschen, ich schlendere umher, zupfe Unkraut und alte Blätter von Rosenstöcken und Hortensien und grübele, bis mich ein Hüsteln aufschreckt. Wortlos wirft mir Barry eine Rolle Bindedraht vor die Füße, nickt mir aufmunternd zu und geht wieder seiner Wege. Es gibt nichts Eigentümlicheres als englische Gärtner, sie haben den Blick für das ganz Gewaltige und velieren doch nicht das kleinste Detail aus den Augen. Seltsam das Ganze. Seufzend nehme ich die Rolle und fange an Zweige aufzubinden. Am Abend bin ich zerkratzt und zerschunden und June jammert um mich herum, um ihre angebliche Besorgnis und ihr Unverständnis über deutsche Gründlichkeit und den Mangel an meinem gesunden Menschenverstand zu demonstrieren, und die Weinreben habe ich auch falsch aufgebunden. Ich will bloß noch weg von hier. Am nächsten Morgen, während Mac die tränenreiche Verabschiedung seiner Mutter über sich ergehen läßt, deutet sie mit spitzen Fingern wortlos auf meine bereits gepackte Tasche, auf der eine kleine Bärin im weißen Spitzenkleid thront, eine Versöhnungsgeste? Als ich sie freudig aufnehme, sticht mir eine verborgene Nadel tief in die Hand und schon habe ich alles mit meinem Blut ruiniert. Die Bärin trägt einen kleinen handgeschriebenen Zettel:
My name is June!