Mittwoch, 7. Mai 2008

Fortsetzung der schottischen Bärengeschichte

August 1981: Den ganzen Sommer über hatten Mac und ich an dem wunderschönen, aber leider völlig verwohnten Natursteinhaus am Rande der schottischen Highlands gearbeitet. Außenmauern mussten verstärkt, Wände versetzt und Rohre verlegt werden. Die Wasser- und Sanitärinstallationen waren in einem unbeschreiblichen Zustand und mussten komplett herausgerissen werden. Zwei der vier Torfbrennöfen waren nicht mehr zu benutzen, eine Horrorvorstellung im nasskalten schottischen Winter. Die hölzernen Fenster waren teilweise im salzigen Seewind verfault, die Bodenbretter waren Heerscharen von Holzwürmern unter die Kiefer geraten und Licht gab es nur wenn der benzinbetriebene Generator angeworfen wurde. Also kein Wasser, kein Strom, keine Heizung....und ich liebte es! Zuhause in Deutschland arbeitete ich fieberhaft Tag und Nacht, um meine Überstunden dann in Schottland zwischen Schutt und Mörtel "abfeiern" zu können, kurzum, ich war zu einem echten Malocher geworden, der keine Zeit mehr für gepflegte Fingernägel oder Frisuren hatte. Leider auch nicht für meine Freunde und Bekannte, die sich nach und nach von mir abwandten, aber das fiel mir nur kurz dann auf, wenn ich auf der Überfahrt von Calais ein paar Stunden Zeit zum Durchatmen und Nachdenken hatte, bis ich endlich in Dover von der Fähre herunterrollte und in halsbrecherischem Tempo gen Norden raste. Spätestens dann verlor ich jegliches Zeitgefühl, es existierten nur noch Mac, das Haus und ich.
Natürlich konnten wir nicht alles selbst herrichten. Vom Dachdecker bis zum Elektriker waren viele Fachleute gefordert, und wenn die Denkmalaufsichtsbehörde nicht ab und zu ein Auge zugedrückt hätte, wären wir verloren gewesen. Viel aber konnten und wollten wir selbst schaffen, nicht nur aus Kostengründen, denn das Projekt, und dazu hatte es sich ausgeweitet, verschlang sämtliche Reserven. Mit Hilfe vieler Bekannter und sogar bis dato unbekannter Nachbarn, die einfach mal ein paar Stunden mit anpackten, kamen wir Stück für Stück, Wochenende für Wochenende unserem Traumziel näher. Auch Barry ließ es sich nicht nehmen mitzuhelfen und so kam es, dass ich ihn an meinem Geburtstag auf einer Leiter stehend in der Wohnküche antraf, wo er einen neuen Wasserfleck inspizierte. Ich war völlig übermüdet von der anstrengenden Fahrt in sintflutartigem Regen am Vorabend angekommen, hatte nur noch meinen Schlafsack im späteren Arbeitszimmer ausgerollt und war auf der Stelle eingeschlafen in der Hoffnung am Morgen meinen Schatz vom Flugfeld abholen zu können, um gemeinsam meinen Geburtstag zu verbringen. Und nun stand Barry da, goß mir Tee aus einer Thermoskanne ein und sagte, dass Mac nicht kommen könne, weil er einen Einsatz habe. Mir schossen die Tränen der Enttäuschung in die Augen, doch ich wischte sie rasch ab, denn June kam schwungvoll mit den neuesten Tapetenmusterbüchern hereingerauscht. Damit war sie in ihrem Element, hielt mich mit gespreizten Fingern von sich ab und meinte, ich solle mich nicht so gehenlassen. Bis heute ist mir unklar, ob sie mein zugegebenermaßen angegriffenes Aussehen oder meine offensichtliche Traurigkeit meinte. Besser, ich gewöhne mich daran, sagte ich mir, daran, allein Geburtstage zu verbringen oder allein die Unbilden des Wetters zu meistern. Aber niemals, niemals würde ich mich an die Gemeinheiten von June gewöhnen können, ein Grund mehr, weshalb ich glücklich war, reichlich Abstand zwischen mir und ihr zu wissen, denn June besaß keinen Führerschein und der nächste Bahnhof war etliche Meilen entfernt. Barry tätschelte mir sanft den Rücken und schlug vor, dass ich mich ein wenig um den Garten kümmern solle, während sie seine Eltern im Altersheim besuchen würden, unter anderem um sie über den neuesten Stand ihres alten Häuschens zu unterrichten. Er hatte mich über die Wochen und Monate gut beobachtet und wußte genau, dass ein paar Stunden zwischen Grün und Erde einen Menschen wie mich (und ihn) wieder festigen konnten. Nachdem sie das Haus verlassen hatten, versuchte ich Toast über der Gaskartusche zu rösten, aß einen schrumpeligen Apfel und sang mir selbst "Happy Birthday" vor. Nein, so konnte ich doch nicht in Selbstmitleid ertrinken, also auf in den Garten, um meine angekratzte Seele zu heilen. Als ich die rückwärtige Küchentür öffnete, roch ich sie schon....eine David-Austin-Rose in voller Blüte, blutrote doppeltgefüllte Blütenteller, die einen berauschenden Duft verströmten, mein Geburtstagsgeschenk! An einem der starken Zweige hing ein rosengemusterter Stoffbeutel . Die Tränen, die ich so mühevoll zurückgedrängt hatte, waren nicht mehr aufzuhalten als ich den Beutel öffnete, denn darin saß ein bebrillter Bär, ordentlich bekleidet mit Mütze, Hose und Pullover und einem Schildchen, auf dem stand "Welcome home, yours Barry."



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