Dienstag, 10. Juni 2008

Dritter Teil der schottischen Bärengeschichte

Wenn nicht eine liebe Bekannte mich angesprochen und so intensiv nach dem Fortgang der Geschichte gefragt hätte, ich glaube, ich hätte mich gern davor gedrückt weiterzuschreiben....

Der Sommer 1981 hatte es gut gemeint mit uns, er war lang und warm gewesen und hatte uns ermöglicht den Keller trockenzulegen, das Dach zu reparieren, schadhafte Stellen im Steinmauerwerk zu flicken, den Lehmboden neu stampfen und plattieren zu lassen, den Schornstein neu zu errichten und vieles vieles mehr. Die ersten Herbststürme brachen schon Mitte September herein, und der Regen klatschte mit Wucht gegen die inzwischen aus Thermoglas bestehenden Fenster. Schon nach ein paar Stunden Dauerregen schloss die knarzende Eingangstür nicht mehr richtig und so kam der uralte Vorlegebalken wieder zum verdienten Einsatz. Es wurde klar, dass die Grube für den geplanten Öltank, der Garten und manch anderes warten mussten bis zum nächsten Jahr und wir uns nun verstärkt um das Innenleben des Hauses kümmern sollten. Deckenbalken wurden stärker befestigt, Regalböden eingezogen, Leitungen verlegt, Wände verputzt. Ich hatte mich aller Proteste der anwesenden Männer zum Trotz in die alte Holztreppe und die knarrenden Bodendielen verliebt, also wurde es folgerichtig ganz allein meine Aufgabe diese wieder in Ordnung zu bringen, von Schmutz- und Farbschichten zu befreien, neu zu verschrauben, zu schmirgeln, zu wachsen und zu bürsten bis sie einen warmen Glanz ausstrahlten. Das hatte ich mir einfacher vorgestellt! Bei der Treppe gab ich heulend und mit Händen voller Blasen auf, und Mac grinste siegesbewusst, als er schwungvoll mit seinem weißen Farbeimer loslegte.
Es war ein feierlicher Augenblick, als im November zum ersten Mal unser Küchenofen mit einem Torfstück aus dem Nachbarhaus entzündet wurde und nach langen Jahren wieder Rauch aus dem Schornstein quoll. Das musste natürlich mit Whisky begossen werden, und die Frauen brachten Suppe und Eintopf für alle mit. Es wurde laut gesungen und gelacht und das alles auf Gälisch. Ich verstand kein Wort, fühlte mich wunderbar und zu Hause. Nur noch wenige Monate, zur Ginsterblüte des nächsten Jahres würde ich für immer hierher gehören.

Weihnachten 1981 in England war so ganz anders als ich erwartet hatte. Irgendwo schwankend zwischen puderschneeweißer Dickens' Christmas und gänsebratenfettiger deutscher Weihnacht schienen die Grenzen zu zerfließen und mir keinerlei Möglichkeit zu geben irgendetwas im Hause meiner zukünftigen Schwiegereltern "richtig" zu machen. Ja, zukünftige Schwiegereltern. Mac hatte es ihnen offiziell beim Heiligabend-Essen gesagt; Puter klassisch, mit Äpfeln und Maronen gefüllt, mir zuliebe, wo es doch Heiligabend gar nicht gibt in England. Das Ganze lag ihnen wohl etwas schwer im Magen, trotz Beifuß. Ich kniete in der Küche vor dem verkrusteten Ofen, schrubbte den Topfkratzer in Fetzen und hörte June's unterdrücktes Zischen, Barry's begütigendes Gemurmel und Mac's entnervtes Seufzen. Frohe Weihnachen.
Am nächsten Tag lernte ich endlich Mac's Großeltern kennen, die ihm das Häuschen geschenkt hatten. Man hatte mich vorgewarnt, dass Marjorie, vielleicht bedingt durch ihre Blindheit, eine ausgesprochen üble Launenhaftigkeit an den Tag lege, mit der nur Timothy, ihr langjähriger Ehemann, umgehen könne, indem er sich einfach taub stellte. Nun, das konnte ja heiter werden, wenn ich auf ihren Segen angewiesen war. Die beiden Alten entpuppten sich als ganz entzückende Menschen von einer solch feinen Art, dass man sie besser zu ihrem eigenen Schutz unter einen viktorianischen Glassturz stellen sollte. Klein, durchscheinend, geradezu zerbrechlich schienen sie mir, ähnlich wie chinesisches Porzellan, und so hervorragend aufeinander eingespielt, dass man Marjories Blindheit nicht bemerkt hätte, wenn ihre Augenfarbe nicht ein irritierendes Weiß gezeigt hätte. Nach dem Tee nahm sie mein Gesicht in ihre faltigen Hände und strich mir über Augen und Lippen. Dann griff sie hinter sich in die Tiefen des Ohrensessels, drückte mir ein knisterndes Päckchen in die Hand und flüsterte mir zu, dass dies für mein Baby sei. Völlig verstört flüsterte ich zurück, dass ich ganz sicher nicht schwanger sei, aber sie antwortete "Marjorie is blind, but she sees well".
Zwei Wochen später schloss Marjorie für immer die Augen und ich war schwanger.

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